Ich wollte einen Text über das Warten schreiben, dabei fielen mir Sätze in einem uralten Tagebuch ein und ich las: … So schmeiße ich regelmäßig teure Kohlen in den Ofen, habe kalte Füße und immer Hunger. Solange ich denken kann, habe ich Hunger, ausgenommen die Zeit bei Freu Z., versteht sich …
Das stimmt aber überhaupt nicht. Vor dem Keller hatte ich keinen Hunger. Meine Mutter ließ mich vor der kalten Kartoffel, die ich einfach nicht mehr runterbekam, sitzen. ‚Du bleibst sitzen, bis du aufgegessen hast‘. Ich polkte winzige Krümel mit der Gabel ab und schluckte sie runter. Ich mochte auch ihre Tomatensuppe nicht, weil ich mich vor den Tomatenhäutchen ekelte. – Als mein Vater wiederkam, sagte er, wie leid es ihm täte, dass er nichts für mich zu essen habe. Ich hab nichts vermisst und kann mich an Hunger nicht erinnern. Er machte ein Gericht, das Schwenkkartoffeln hieß. Gekochte Pellkartoffeln wurden in etwas Butter geschwenkt. Ich fand, das war ein gutes Essen. Die Schulspeisung schmeckte mir nicht. Wenn ich krank war, holte mein Vater diese Schulspeisung für mich ab. Einmal kam er enttäuscht zurück, weil es kein Essen gab, sondern Kakao. Jubel! Den Kakao trank ich gern. – Als er mich zu Frau H. abschob, wie ich das empfand, tat er das mit den Worten ‚ich hab für dich nichts zu essen‘. – ‚Ich will lieber hungern und bei dir sein‘. Da fiel mal das Wort hungern, aber empfunden habe ich das nicht. Nach seinem Tod kam ich endgültig zu H.s. Da gab es Gerichte, vor denen es mich schüttelte. Grüne Klöße. Aber auch Sachen, die ich sehr mochte. Saure Eierkuchen, falsche Schlagsahne, Kaffeekuchen, Lungenhaschee. Als ich letzteres mal von anderen Leuten gekocht erlebte, war das ganz eklige durchgedrehte Pampe. Bei H.s wurden Lunge und Herz stückig gegart und in süßsaurer Soße angerichtet. Herz mochte ich lieber, Lunge war etwas wabbelig. Bei H.s litt ich nicht unter Hunger, sondern unter der Ungerechtigkeit. Die Konfitüre war nicht für mich, nur die Vierfruchtmarmelade und Kunsthonig. Und beim Verteilen der interessanten Sachen der Satz ‚fürs Kleinste das Kleinste‘.
An das Kinderheimessen kann ich mich nicht erinnern, nur an das Stullenklauen, aber das war Freude am Klauen, nicht Hunger.
Bei Frau Z. wurde ich dann gemästet. Essen, dauernd essen, immer das Beste, alles reichlich, dazu Traubenzucker und Butter. Das war ja mal neu.
Im Mädchenwohnheim war das Essen nicht berühmt. Meine Freundin Uschi nannte es Altersheimfraß. Diese Eintöpfe aus den Resten der letzten Tage waren scheußlich. Volker spendierte mir von seinem Taschengeld mal ein halbes Hähnchen. Das war super. Ich gab ihm davon nichts ab. Das war mies.
Der Hunger kam erst im Keller, da allerdings heftig. Das ist lange vorbei, und ich muss aufpassen, dass ich nicht dick werde, weil ich essen kann, wann und was ich will. Was ich selbst koche, ist nicht besonders, da fällt Zurückhaltung nicht schwer.