Die antiken Zeiten stehen im Prinzip den modernen Zeiten diametral gegenüber, deshalb kommen sie in unseren Betrachtungen preußischer Logik zufolge nach den modernen Zeiten.
Kein Mensch der Antike hätte sich jemals selbst als antik bezeichnet, es sei denn, er betrachtete sich von einem späteren Zeitpunkt aus. Und so gab es auf unserer Insel auch zuerst die Bezeichnung Neues Museum, und erst später ein Altes Museum.
Es sind seit jeher die nachfolgenden Generationen, die die vorangegangenen bestenfalls antik nennen, und hier wäre es gut, man würde sich zunächst über den Begriff „antik“ verständigen.
Aber wir wollen das Fass gar nicht erst aufmachen. Beobachten wir einfach, wie die Menschen in den vorchristlichen Zivilisationen zu Werk gingen: mit ruhigem, gemessenem Puls. Eine kostbare Arbeit brauchte immer viel Zeit und Geduld, und ein Meister, der etwas kostbares machen wollte, widmete sich mit Ausdauer den verschiedenen Arbeitsschritten, ebenso wie weise Menschen ausgiebig ihren Überlegungen nachgingen.
Man denke nur an das berühmte Ischtar-Tor von Babylon, das im Erdgeschoss des Pergamon-Museums rekonstruiert wurde. Wie viele Jahre mag man gebraucht haben, im VI. Jahrhundert v. Chr., um es samt Dekoration, Kachel für Kachel, mit den unglaublichen Bildern und Reliefs von Löwen und Ochsen aufzubauen, wie viele Schritte der Gläubigen mögen die Löwen an den Mauern begleitet haben, pünktlich jedes Jahr am 22. April, dem Fest von Ischtar, dem Stern, der sumerischen Venus, der wichtigsten Gottheit des Himmels, die vielsagenderweise gleichzeitig über Liebe, Krieg und Fruchtbarkeit gebot?
Wir wissen lediglich, dass man zu Beginn des letzten Jahrhunderts über zehn Jahre brauchte, um erst das Salz zu entfernen und das wunderbare, viel gerühmte Blau wieder herzustellen, und dann die Teile des Mosaiks wieder zusammenzufügen.
Ein zyklischer, ruhiger Schritt und die Suche nach Gewissheit im Überirdischen, das war bis lange nach Christi Geburt die Grundlage der Kunst und Kultur des Ostens wie des Westens. Und dieser ruhige Rhythmus ist eine der wertvollen Eigenheiten der antiken Zeiten.
Im vorderasiatischen Museum des Pergamonmuseums staunt man über archaische Manufakte von erlesener Feinheit aus Gebieten der heutigen Türkei, Iran und Irak. Geduld, Meisterschaft, Sorgfalt und Zeit, viel Zeit, das sind die Elemente, aus denen wundervolle Gegenstände geschaffen wurden, begehrte Symbole eines hohen sozialen Standes, einer wohlhabenden Hofkultur, eines im Westen undenkbaren Luxus schon Jahrhunderte, ja Jahrtausende vor Christus.
Zeit ist Geld, sagt man im Westen, im Orient ist das noch mehr der Fall, in noch absoluterer und sinnlicherer Weise.
Am Eingang des vorderasiatischen Museums empfängt uns ein großes Bronzebecken aus dem 13. Jahrhundert, das mit der anspruchsvollen Technik der Tauschierung verziert ist. Diese Technik besteht darin, dass in eine Metalloberfläche Motive nach Belieben eingraviert werden und die Ritzen dann mit Edelmetall wie Gold oder Silber gefüllt werden. Dadurch entsteht ein bunter, leuchtender Farbeffekt.
Zwei Säle weiter sind Manufakte des 9. Jahrhunderts aus der blühenden Stadt Samarra ausgestellt, die sich längs des Tigris über mehr als dreißig Kilometer hinzog. Die Gegenstände wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in etwa 100 km Entfernung vom heutigen Bagdad gefunden.
Hier fanden die ersten Grabungen des islamischen Orient statt. Im 9. Jahrhundert, so entnimmt man den Erläuterungen an den Wänden, bestanden in Samarra die Tapeten aus Stuck, mit Weinranken, Laub, später auch mit geometrischen oder stilisierten Motiven, Oberflächen wurden mal eben mit den unglaublichsten Mosaiken verkleidet, zur Dekoration oder auch zum Schutz, die Frauen trugen Ohrschmuck mit Filigranarbeit, gossen Wein und Wasser aus federleichten Krügen und kredenzten Speisen auf fein ziselierten Tellern. Die schönsten Palästen hatten hauchdünne, filigrane Friese, und die Fenster blaue und bernsteinfarbene Scheiben. Samarra war mit seinen Moscheen, seinen Sporthallen und Palästen der Nabel der Welt des 9. Jahrhunderts. Das prachtvolle Tafelgeschirr, grün, gelb, lila und braun bemalt, wurde offenbar zunächst aus China importiert, wo Porzellanproduktion schon seit längerer Zeit bekannt war, um dann im vorderen Orient an begüterte Kunden verkauft zu werden.
Später breitete sich der Geschmack an schönen Dingen und ein gewisser Wohlstand auch auf andere Bevölkerungsschichten aus, und damit wuchs die Einfuhr von Geschirr. Man begann, sie weiß und unbemalt zu importieren, was die Kosten senkte, und bemalte sie dann vor Ort, nahe dem heutigen Bagdad.
Die Farbe, mit der das weiße chinesische Porzellan mit Vorliebe dekoriert wurde, war damals Blau, erstes Kennzeichen eines neuen Stils im Nahen Osten. So ist es teils dem Zufall, teils einer Sparmaßnahme geschuldet, wenn ausgerechnet in Samarra die weltweite Vorliebe für blau-weißes Porzellan entstand.
Die lichte Strahlkraft der Keramik in den mittelalterlichen Gebetsnischen ist unwiderstehlich, die Farben sind blau, gold und weiß, oder türkis, gold und schwarz, wobei der besondere Glanz durch die Verwendung von Kupfer- und Silberlegierungen entsteht, sowie durch ein aufwändiges, zweifaches Brennverfahren bei reduzierter Temperatur.
Besonders schön ist das Kobaltblau, das den Goldrand so gut zur Geltung bringt, eine Kombination, die den europäischen Geschmack stark geprägt hat, und doch eine rein vorderasiatische Erfindung ist.
Zauberhaft auch die vergoldeten Holzschatullen zur Aufbewahrung des Korans, die vergoldeten, roten und blauen Laternen für Moscheen, das hauchdünn geblasene, goldfarben, rot, dunkel- und hellblau bemalte Glas. All diese wundervolle Arbeit vergangener Jahrhunderte berührt uns auch heute und verschafft uns wieder Zugang zur Harmonie des Schönen. Und das ist vielleicht das beste Geschenk, das uns beim Besuch des Pergamonmuseums zuteil wird.
Geradezu an ein Wunder grenzt der perfekte Erhaltungszustand einer äußerst fragilen, 700 Jahre alten Glasflasche aus dem syrischen Raum. Sie hat über Jahrhunderte zahllose Gefahren schadlos überstanden und ist mit Gold, Blau, Rot und Grün bemalt, einer Darstellung von zwölf Reitern, die Polo spielen. Auch das Polo-Spiel ist also ein sehr alter Sport und keineswegs eine westliche Erfindung.
( Übersetzt von Christoph Timpe )