Kriegszeiten

Raffaela Rondini

So unangenehm das sein mag, so müssen wir doch einräumen, dass nicht nur bei den stämmigen Germanen, sondern auch im alten Rom der vielbesungenen goldenen Periode eine ziemlich militaristische Gesellschaftsordung herrschte. Die Schönheit und Größe dieser Zeit bewundern wir anhand der Funde in den Sälen der Museumsinsel, aber das Jahr begann ausgerechnet im März, dem Monat des Kriegsgottes Mars.

Erst gegen Ende der Republik ersetzte der Januar den März als ersten Monat des Jahres.

Der Januar bekam seinen Namen vom doppelgesichtigen Janus, dem Gott des Ein- und Übergangs, der zu Beginn und am Ende eines Krieges angerufen wurde. Stand ein Konflikt bevor, wurde das Tor des Janustempels geöffnet und damit der Schutz der Gottheit erbeten, war der Krieg vorbei, wurde es wieder geschlossen. Der Eingang des Tempels war in Rom praktisch jahrhundertelang geöffnet, von den Kämpfen zur Verteidigung gegen benachbarte Städte angefangen, bis zur Eroberung der italienischen Halbinsel und schließlich des Weltreichs.

Zerstörerische Aggressivität gibt es also schon lange. Aber wie lange eigentlich?

Der Saal 306, im dritten Stock des Neuen Museums, liefert darauf eine Antwort.

Offenbar beginnt die Geschichte des Krieges in der Bronzezeit, vor etwa 4500 Jahren. Mit der Metallverarbeitung ging eine gesellschaftliche und politische Strukturierung einher. Eliten etablierten sich, kontrollierten die Nutzung der Erzvorkommen und koordinierten den Arbeitsverlauf und die Handelsbeziehungen zwischen Siedlungen. Die ersten Konflikte zwischen Clans entbrannten um die Kontrolle über die Gegenden mit den meisten Bodenschätzen.

Später, während der Kupfersteinzeit, verstärkte sich lediglich die soziale Differenzierung und die Konflikte spitzten sich zu.

Interessant ist auch, dass Kriege stets zwei verschiedenen, aber parallelen Zeitverläufen folgen. Einerseits brechen sie aus, andererseits werden sie aber auch allmählich mit einem Ostinato von Instabilität vorbereiten, die ständig zunimmt und schließlich in die Katastrophe mündet.

Nach jedem Krieg stellt man dann betrübt fest, wie die Zerstörung einen tiefen Graben hinterlässt zwischen der Zeit vor und der nach dem Krieg. Die Überlebenden eines Konflikts bleiben außerdem ihr Leben lang gezeichnet von tiefen Wunden an Körper und Seele. Alle Kriege ähneln sich in ihrem zerstörerischen Potential irgendwie, obwohl jeder einzelne auch seine fürchterlichen Eigenheiten aufweist. Schwer zu sagen, wie viele Kriege die Menschheit schon ausgefochten hat. Die Norne Urd wird bei dieser Frage immer ganz betrübt, schüttelt trostlos den Kopf und wiederholt in ihrer alten Sprache die übliche Litanei: Wut, Rache, Blut und Schmerz, Verlust

Ein Bild im dritten Stock der Alten Nationalgalerie, voller Blut und dramatischer Ödnis, mag als Synthese und stellvertretende Abstraktion aller Kriege gelten: Das Schlachtfeld bei Marathon, gemalt 1849 von Carl Rottmann. Der Titel erinnert an den berühmten Konflikt zwischen Griechen und Persern 490 v. Chr., aber das Bild zeigt keinerlei historischen Kontext. Nicht einmal Menschen sind dargestellt, sondern lediglich große Flächen in Rosa und Grau, lichte Flecken am zerklüfteten Himmel, Erdschichten, die von Blut getränkt scheinen, zerrissene Wolken vor dunklem Horizont und Regen und Meer, und Himmel und Blut scheinen sich zu durchdringen. Das Bild entstand nach der Märzrevolution von 1848, die auch Berlin nicht verschonte. Die Museumsinsel hat dann auch die Kriege der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt, diese führten 1871 zur stolzen Ausrufung des deutschen Staates sowie zu den Weltkriegen.

Der erste Weltkrieg zählt zu Kriegsmomenten, die in unserer Welt einen besonders tiefen Graben hinterlassen haben. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte hatten sich so viele Nationen gleichzeitig bekämpft, unter Bildung von Bündnissen in zwei großen Lagern. Das Ausmaß der Kriegsereignisse war auch deswegen so entsetzlich, weil die industrielle Entwicklung ungeheuerliche Mittel der Zerstörung und neuartige militärische Strategien ermöglichte. Millionen junger Soldaten haben sich jahrelang durch die Schützengräben gequält. Das riesige Blutbad und die grauenhaften Erlebnisse haben die Menschheit nachhaltig gezeichnet.

Auf unserer Insel waren das die Jahre, in denen man mit Mühe versuchte, ein zweites Pergamon Museum zu errichten.

Als Leihgaben anderer Berliner Museen wie der Neuen Nationalgalerie oder dem Brücke Museum kommen in die Alte Nationalgalerie manchmal expressionistische Bilder zu Besuch, auf denen verstörte, verängstigte, verschreckte Gesichter mit aufgerissenen und blutunterlaufenen Augen dargestellt sind. Zum Beispiel das Selbstbildnis von Ludwig Meidner von 1915, oder das Selbstbildnis mit Mädchen von Ernst Ludwig Kirchner, auch von 1914/15, auf dem der Maler mit kantigem Gesicht aus dem Bild herausblickt, während das Mädchen hinter ihm ihr langes und trauriges Gesicht abwendet. Die Bilder aus der Zeit des ersten Weltkriegs bringen eine neue Art von Schmerz zum Ausdruck, man kann sie daran schon von Weitem mit Sicherheit datieren, ohne jedesmal das Schild mit dem Datum lesen zu müssen.

Nach dem ersten Weltkrieg kam dann noch viel Furchtbareres.

Die Berliner ahnten nichts Gutes, als die Nazis die Bäume und Sträucher im Lustgarten ausrissen und den großen Platz asphaltierten, um ihn für Aufmärsche und Paraden zu nutzen. Zehntausende von Anhängern fanden dort Platz, und die klassizistische Treppe von Schinkel diente als Propagandabühne. Die Nazis unterdrückten mit Härte nicht gleichgeschaltete Künstler sowie Juden, erst mit Parolen und dann durch die Entfernung der sogenannten entarteten Werke aus den Museen, um sie im Juli 1937 in der berühmten Ausstellung über Entartete Kunst auszustellen.

Eine Kommission wurde geschaffen mit dem Ziel, Werke zusammenzutragen, die der deutschen Rasse keine Ehre machten, und eine Ausstellung mit ausländischen und jüdischen Werken einzurichten.

Die Säuberung der Kunsttempel ist abgeschlossen, verkündete 1938 Franz Hofmann, Direktor der Abteilung für Bildende Kunst im Reichsministerium für Propaganda seinem Minister Joseph Goebbels.

Dem nazi-deutschen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) entsprach übrigens im faschistischen Italien das „Ministerium für Volkskultur“ (Ministero della Cultura Popolare), welches 1937 das „Ministerium für Presse und Propaganda“ ersetzte und die groteske Abkürzung Min.Cult.Pop. bekam.

Die genaue Zahl der Bilder, die auf der Insel und anderswo der Säuberung zum Opfer gefallen sind, ist nie bekannt geworden. Die Propaganda sprach von 12.000 Werken, eine sicherlich übertriebene Zahl, aber 700 Stücke von internationaler Bedeutung sind mit Sicherheit verschwunden, verkauft an Museen und Sammler weltweit.

Am 30. Juni 1939 fand im Genfer Grand Hotel eine Auktion statt, 60 Gemälde und Skulpturen moderner Künstler, offiziell vom Regime verachtet, wurden hier als Meisterwerke an Privatleute versteigert. Die Bieter hatten sich allerdings abgesprochen, die Angebote möglichst niedrig zu halten, um den Erlös für die Nazis entsprechend gering zu halten. Offenbar hat Göring selber veranlasst, dass drei Bilder von Van Gogh, das Paar von 1888, das Kornfeld von 1889 sowie der Garten von Daubigny von 1890 an einen deustchen Bankier verkauft wurden. Letzteres verkaufte dieser an einen Sammler aus Amsterdam, das Bild tauchte dann nach dem Krieg in New York wieder auf.

Ein Gesetz vom 31. Mai 1938 ermöglichte dem Nazi-Regime, mit Bildern „Entarteter Kunst“ nach Belieben zu verfügen. Da die Nazi-Größen selber oft kenntnisreiche Sammler „Entarteter Kunst“ waren, hängten sie gerne berühmte Bilder des Impressionismus und Expressionismus in ihre Büros, und ließen sich damit dreist fotografieren. Seltsam auch, dass die Alliierten nach dem Krieg versäumten, dieses Gesetz umgehend ungültig zu machen, so dass viele Stücke heimlich auf dem Kunstmarkt verschwanden. Manchmal tauchten sie dann wieder auf, in der Schweiz, in Holland, New York oder Moskau…

Die nicht-entarteten Werke, die 1939 in den fünf Museen noch Bleiberecht behielten, wurden in aller Eile auf den Krieg vorbereitet. Sandsäcke tauchten an den Fenstern und neben den Säulen der antikisierenden Gebäude auf, Skulpturen und Gemälde verschwanden in Bunkern, Bergwerken, Banken und Kellern. Jüdische Gönner oder Kuratoren wurden entlassen.

Bei Ausbruch des Krieges stand das jüngste der Museen, das Pergamon, gerade mal seit neuen Jahren. Kunstwerke waren zwar besser geschützt als die Zivilbevölkerung, konnten sich aber trotzdem nicht alle retten. Statuen, die schon Zeugen so manche Zerstörung und Erdbeben geworden waren, konnten sich dieses Ausmaß an Gewalt bei weitem nicht vorstellen. Im 19. Jahrhundert hatten die Forscher mit Aufwand, Liebe und Geduld zahllose Stücke aus der Erde gegraben, jahrzehntelang sorgfältig riesige Puzzles zusammengesetzt und der Welt so eine bewegende Anschauung von der Vergangenheit ermöglicht. Jetzt zerstörte der Bombenregen in wenigen Nächten mit blinder Gewalt die Arbeit von Jahrhunderten und hinterließ Bestürzung für die Gegenwart und trostlose Gedanken für die Zukunft.

Das millionenfache Leiden der Lebenden war entsetzlich. Die Trauer um zerstörte Kunstwerke begleitet wie ein Kontrapunkt die Erinnerung an die menschlichen Opfer. Am Ende des Krieges war 70% der Museumsinsel zerstört und viele Werke verschollen.

Das Unheil war großer und unvorstellbarer als jede noch so monströse Kreatur, die der Geist des Alten Griechenlands je erdacht hat, größer als jeder in Jahrtausenden ersonnene Kampf zwischen Gut und Böse. Die Spuren des Krieges blieben auf der Insel lange sichtbar, aber die Museen öffneten langsam wieder die Tore, eins nach dem anderen, und Ende der 50er Jahre kehrten unter großem Aufsehen viele Objekte aus der Sowietunion zurück. Nur das Neue Museum war noch in den 80er Jahren eine Ruine, von Schlingpflanzen bedeckt und Birken, die aus dem Dach wuchsen.

Das Gebäude war dreimal bombardiert worden. 1943 brannte die große Treppe ab, Stolz aller großen öffentlichen Gebäude des 19. Jahrhunderts, und mit ihr das riesige, über 75 Meter lange Fresko, das die Geschichte der Menschheit in ihrer Entwicklung darstellte: Der Turm von Babel, Homer und die Blüte der griechischen Kultur, die Zerstörung Jerusalems, dann die Hunnen, die Kreuzzüge, die Reformation, all das dargestellt mit hegelschem Fortschrittsglauben und mit einer neuartigen Lackschicht versiegelt, die der Wandmalerei ewiges Leben versprach. Aber die die Bomben von 1943 haben alles verbrannt. Dann kamen die Angriffe vom Februar 1945, in denen der Nord-West-Flügel zerstört wurde, und Ende April, kurz vor Kriegsende, war die Zerstörung dann vollständig. Die Galerie, die symbolisch wie physisch das alte mit dem neuen Museum verband, ging auch in die Luft, ebenso die kuriose Südkuppel und der Großteil des Gebäudes. Als Ruine feierte es noch 1987 den 750. Geburtstag der Stadt Berlin, gemeinsam mit der übrigen DDR, mit sozialistischem Stolz und unter den Vorzeichen des gesellschaftlichen Scheiterns.

Die internationale Sichtbarkeit Berlins, die deutsche Wiedervereinigung, der schwungvolle kulturelle Auftrieb, der 1999 in der Proklamierung der gesamten Museumsinsel zum Weltkulturerbe der UNESCO gipfelte, all das hat dazu geführt, dass das Gebäude zunächst gesichert wurde, indem die Holzpfähle, die wegen des sumpfigen Bodens gefault waren, durch Träger aus Stahlbeton ersetzt wurden. Es folgte ein Wettbewerb für die Renovierung, den der britische Architekt David Chipperfield gewann, er firmiert für das Neue Museum. Sehr interessant ist die mutige Entscheidung, die Zeichen der Zeit und Kriegsschäden an dem Gebäude sichtbar zu lassen. Den Statuen in den äußeren Nischen fehlt der Kopf, jonische Säulen sind teils weiß, teils vom Brand geschwärzt, von dem Fries, der die Metopen des Partenon darstellte, hängen nur Bruchstücke, die Einschläge der Bombensplitter in der unverputzten Ziegelmauer bleiben sichtbar, und die Fragmente der Fresken mit der Geschichte der Menschheit sind geblieben, wie sie waren, Bruchstücke der Erinnerung.

Der Kern der meisterhaften Restaurierung besteht in der monumentalen Treppe. Kein pompejanisches Rot an den Wänden mehr, keine vergoldeten Geländer, keine weißen Amphoren und Statuen konstrastieren mehr mit dem Rot der Mauern, keine riesigen Fresken und keine Kassettendecke. Oder vielmehr, die Decke hat immer noch Kassetten, ist aber modern, bestückt mit starken Scheinwerfern, die Mauern sind aus unverputzten Ziegeln, und von den Fresken ist hier und da noch ein Stückchen sichtbar. Der ganze riesige Raum atmet durch alle vier Stockwerke, die durch die grandiose Treppe und die riesigen Fenster vereint werden.

Mit lichter, luftiger und heiterer Schlichtheit hat sich im Oktober 2009 der Welt das aus der Asche erstandene neue Neue Museum erneut präsentiert.

( Übersetzt von Christoph Timpe )

5 Jahren vor