Eine Runde durch die Museen ist eine gute Gelegenheit, Kenntnisse aufzufrischen und unsere Vorfahren aus der Nähe zu betrachten. Dabei kann man manchmal entdecken, wie alt viele unserer modernen Verhaltensweisen in Wirklichkeit sind, bzw. wie sehr archaische Verhaltensweisen uns noch heute prägen.
Die meistbeachteten antiken Zivilisationen sind die der Babylonier, der Ägypter, der Griechen und der Römer, sie alle werden auf dieser Insel eingehend gewürdigt.
Im Schulunterricht werden die Zivilisationen der Vergangenheit gerne auf den Moment ihrer höchsten Blüte reduziert. Dabei legt man sie auf einige wenige positive oder negative klar umrissene Merkmale fest, ganz als ob man sie in unseren Kategorien gefangen halten wollte.
Dabei weiß man natürlich ganz genau, wie Johann Gottfried Herder ja schon im 19. Jahrhundert nahe gelegt und man selber schon geahnt hatte, dass sich Bevölkerungen über unterschiedlich lange Zeiträume hinweg dynamisch entwickeln, wobei sie in Entwicklung und Niedergang einander erstaunlich ähnlich sind. Man könnte das mit dem Zyklus eines Lebewesens vergleichen, das erst klein ist, dann wächst und schließlich stirbt.
Solche Beobachtungen und all ihre Abstufungen und Variationen gehören seit alter Zeit in den Bereich der Geschichte der Philosophie und werden oft auf die platonische und humanistische Gedankenwelt zurückgeführt.
Demnach wären die großen Völker der Geschichte anfangs kleine Stämme gewesen, die sich ausgedehnt und etabliert hätten und dann von anderen ehemalig kleinen Stämmen besiegt worden wären, die sich ausgedehnt und etabliert hätten und dann von anderen ehemalig kleinen Stämmen besiegt worden wären, die sich ausgedehnt und etabliert hätten und dann…
Wenn man sich für den Aufstieg und den Niedergang der Völker begeistert, oder einfach nur Aufstieg und Niedergang kleiner und großer Zivilisationen im Auge hat, dann bekommt man sicherlich einen tieferen Einblick in die Geschichte. Man versteht dann, wie verschwommen die Grenzen zwischen den Zivilisationen eigentlich sind, wie sehr sie sich untereinander beeinflusst haben. In den ersten Sälen im Erdgeschoß des Alten Museums merkt man beispielsweise, dass die Griechen bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. mit ihren stocksteifen Statuen und gefalteten Chitonen viel Ägyptisches hatten, wie viel Griechisches in Süditalien steckt, mit seinen großartigen Theatern. Im ersten Stock kann man sich Gedanken machen, wie etruskisch Rom war, oder wie assyrisch, phönizisch, griechisch das geheimnisvolle Etrurien. Eine Runde durch das Pergamon Museum lehrt, wie chinesisch die Araber und wie arabisch die Spanier und Sizilianer waren. Im vorderasiatischen Museum des Pergamon kann man die mit Intarsien verzierte Holzdecke der Kuppel des Damen-Turm aus dem Alhambra-Palastes in Granada bewundern, der spanischen Stadt, die bis 1492 muslimisch war. Und im ersten Stock des Alten Museums erfährt man wieder, dass das alte Ägypten natürlich auch eine hellenistische und eine römische Periode hatte, wie ein seltenes Gemälde von 140 n. Chr. belegt. Bei dem Mumienportrait einer wohlhabenden Dame mit Perlenkette, Ohrenschmuck, weich nach oben gesteckten Lockenhaar und intensiven Blick denkt man gleich an eine elegante römische Patrizierin, und doch handelt es sich um eine Dame aus Ägypten… Im Saal 106 des Neuen Museums geht es dann um die bewegte Geschichte der Insel Zypern, Heimat der Liebesgöttin Aphrodite und Erbin griechischer, assyrischer, ägyptischer, persischer und römischer Kultur. Oder das Markttor von Milet: das Bauwerk des römischen Hellenismus wurde mitsamt seinem opulenten Schmuck aus Säulen, Kapitellen, Gebälk und Friesen nach langen Diskussionen beherzt im Pergmon Museum vollständig wiederaufgebaut. Ursprünglich wurde es an der damals blühenden Westküste Kleinasiens, in der heutigen Türkei unter Hadrian errichtet, dem römischen Kaiser mit Bart, der unbedingt wirken wollte wie ein griechischer Philosoph… Und so weiter, mit immer neuen Mischungen, über alle Grenzen…
Ein Gang über diese Insel bietet die seltene Gelegenheit, den historischen Fluss der Völker, so komplex er ist, ganz sanft und bruchlos zu erleben. Archaik, Klassik und Dekadenz bilden ein geschichtliches Kontinuum von großer Weite und Harmonie, und die ewige Faszination der menschlichen Wechselfälle wird zum platonischen Genuss.
Wenn von Griechenland die Rede ist, denkt man hier immer gleich an den Pergamon-Altar. Dabei sollte man nicht vergessen, dass es sich hierbei lediglich um einen späten Moment griechischer Kunst in Kleinasien handelt.
In den ersten Sälen im Erdgeschoss des Alten Museums wird denn auch prompt hervorgehoben, dass die alten Griechen bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. ihrem Götterkult in der freien Natur nachgingen: Zeus in den Bergen, Poseidon am Meer, Demeter in fruchtbaren Ebenen, Athene in der Stadt, u.s.w….
Griechenland als historischer Begriff hat also eine Vielzahl von Bedeutungen, und wir wollen bei dieser Gelegenheit dazu einladen, sich im Sehen zu üben, um kulturelle Eingrenzungen zu überwinden.
Wenden wir uns also nun diesem großartigen Altar zu, zumindest in der Vorstellung. Der Pergamonaltar wurde 1878 durch einen Glücksfall und mit relativ geringem Aufwand in der türkischen Stadt Bergama zu Tage gefördert und anschließend auf die lange Bahnreise nach Berlin geschickt. Er stellt bis heute eine der größten Attraktionen der Museen dar, hat sich von Kameras aller Marken und Qualität fotographieren und von Führern in allen Sprachen preisen lassen, und präsentiert sich mit berechtigtem Selbstbewusstsein. Er ist schließlich der Pergamonaltar, eines der größten und besterhaltenen Kunstwerke des Hellenismus, einer Zeit, in der Griechenland in einem Maße kultiviert, gereift und weithin bekannt war, dass es bereits dem eigenen unvermeidlichen Untergang entgegensah, leichte Beute der zersetzenden Keime der Barbarei.
Wir befinden uns in der Oberstadt von Pergamon, dem heutigen Bergama. Bis zur Geburt Christi sind es noch fast zwei Jahrhunderte hin, der monotheistische Gott Vater schlummert noch in den Weiten der Zeit. Und auf diesem Fries, der eine zwanzig Meter breite Treppe umfasst, spielt sich auf rund hundert Bildern der mythische aber stets aktuelle Kampf zwischen Göttern und Giganten ab, zwischen Ordnung und Chaos, Recht und Gewalt, kurz, zwischen Gut und Böse.
Die griechischen Götter waren keineswegs so heilig wie unser Lieber Gott. Sie litten nicht unter Krankheit, Alter und Tod und hatten Macht und leichtes Leben, aber ihre Leidenschaften waren denen der Sterblichen zumindest ebenbürtig. Die Literatur enthält endlose Serien von Eifersucht, Ehebruch, inzestuösen Verwandschaften, von Mord und Folter wie die, die besagtem Prometheus zuteil wurde, sowie andere Schauerlichkeiten…
Die Geschichten auf diesem Fries aber sollen den Betrachter erheben, und die Reliefs erzählen von Helden, Giganten, Göttern und Tieren mit bemerkenswerter Bewusstheit, Dramatik und perspektivischer Kompetenz.
Die Figuren erheben sich mit unglaubliche Plastizität um fast drei Viertel aus dem Hintergrund. Trotz der teilweise unvollständigen Rekonstruktion ist der Realismus der Details erstaunlich. Der Kampf lässt die Muskulatur der ineinander verschlungenen Körper plastisch hervortreten, Pferdehufe tauchen inmitten menschlicher Gliedmaße auf, Helme mit Spangen, Knäuel von Schlangen, gekräuselte Frisuren der Helden, schuppige Reptilien, Mähnen, Brüste, die die Kleidung spannen, Sehnen, Klauen, Gesäßfalten, Gürtelbänder, die Gewänder um die Taille in Falten werfen, Kiemen, Schamhaare, Sandalen mit engen Riemen, Trensen und Nüstern von Pferden, Augen voller Entsetzen, Wut oder Schmerz, in einem Wirbel von Pathos und Energie.
Bedenkt man, dass die Figuren des Reliefs ursprünglich bunt bemalt waren, dann bekommt man eine realistische Vorstellung dieser 120 Meter langen Geschichte.
Schlecht vorstellen kann man sich hingegen, dass Götter, Halbgötter, Giganten, Helden und Tiere nach dem zweiten Weltkrieg nach Russland transportiert wurden, und dort in Begleitung des Betenden Knaben und anderer Berühmtheiten bis 1958 geblieben sind. Der Schatz des Priamos dagegen hat sich in Moskau so gut eingelebt, dass er gar nicht zurück wollte.
( Übersetzt von Christoph Timpe )