Wenn man sagt, dass die Natur zu schützen ist, stimmt das lexikalisch nicht ganz.
Die Natur kommt bestens mit sich selbst zu recht.
Ganz im Gegenteil, seit es die Menschheit gibt, bitten wir die Natur um Schutz, Nahrung, Inspiration, Hilfe, Erleuchtung und Vergebung.
Wir sind es, die heute mit Grauen auf die Ergebnisse unserer Gier, Niedertracht und Blindheit schauen und wollen Abhilfe schaffen, aber nicht so sehr für die Natur, sondern für uns selber.
Indes bleibt sie uns gegenüber eher gleichgültig, nicht nur wenn sie die Vulkane ausbrechen und die Füße die Dämme brechen lässt oder im Meer Gute und Böse ohne Vorwarnung schluckt, wenn sie Plastik und tote Fische spuckt oder wenn die Natur gnadenlos Häuser und Einwohner verschüttet und wenn ihre zahlreiche Tiere und Pflanzen leiden und sterben, sondern auch, wenn sie mit all ihrer Pracht und Schönheit vor uns erscheint, sie immer distanzierte Göttin und präsente Herrin, wenn auch Märtyrerin ist und wir einfach ihre Sklaven.
Ich saß gestern auf einer Bank im Queen Mary Rosengarten in Regent’s Park und liebte die Rosen für ihren Duft und Farben während eines wunderschönen Herbstsonnenunterganges.
Man sammelt, pflanzt und pflegt 12.000 Rosenstöcke aus über 80 Sorten im Herzen Londons nicht nur als Hommage für die Queen oder die Natur, sondern als Geschenk, das die Menschheit an sich selbst macht.
Der Teich und der künstliche Wasserfall, die die Idylle vollenden und die Eichhörnchen, die mit Äpfeln und Nüssen in den Pfötchen zu uns kommen, bestätigen, dass die Welt manchmal wirklich ein Märchen ist. Und wenn die einzige Geräusche, die man außer von den Straßen des wilden Shoppings und des bekannten City Verkehrs hört, es die Gänse und die Vögel sind, die sich um den Teich gegenseitig rufen und das Rascheln des Schilfrohrs, dann sind die Engländer – Brexit hin oder her – besonders erleuchtet.
Die deutsche Seele scheint mit nicht weniger Leidenschaft die Natur zu lieben, wenn auch nicht mit Rosen, sondern mit Kraft und Pragmatismus.
Im vergangen Monat befand ich mich auf zwei verschiedenen Gründen – ganz deutsch und ganz naturwissenschaftlich – in Hamburg.
An einem Tag habe ich die große Windmesse besucht, eine technische Messe für Windenergie, auf der fast ausschließlich elegante Männer in Anzügen und Krawatten vertretet waren, die sich mit riesigen ingenieurtechnischen Herausforderungen beschäftigen und gewaltige Pfähle inmitten der windreichen Nordsee zu pflanzen, um ihre Energie einzufangen.
Am anderen Tag war ich in der gefeierten Ausstellung Entfesselte Natur, mit dem Untertitle das Bild der Katastrophe, seit 1600.
Sowohl die schönen englischen Rosen als auch die Hamburger unheimlichen Drohnen und mächtigen Windmühlen oder die Bilder von Tsunamis oder der unglaubliche Dokumentarfilm über den Hurrikan Irma von Julius von Bismarck erinnern alle irgendwie an eine ähnliche antike mythologische Darstellung der Natur, die sich als eine widerspenstige, rätselhafte und unerreichbare Kreatur präsentiert, die die Menschheit, wie ein besessener Liebhaber mit allen Mitteln zu besitzen und zu zähmen versucht , mit widersprüchlichen Resultaten.
( Lektorat von Michaela Schlegel )