Das KaDeWe am Samstag Nachmittag

Raffaela Rondini

 

Man vergleicht es mit Harrod’s, den Galleries Lafayette und anderen großen Kommerz- und Konsumtempeln. Viele lieben es und ebenso viele verabscheuen es, aber das KaDeWe ist an sich weder gut noch schlecht: es ist ein Ort, an dem man viele Dinge von hoher Qualität zu relativ hohen Preisen bekommen kann.

Als Symbol für gehobenen sozialen Status ermöglicht es vielen Neureichen, ihre Zugehörigkeit zum Olymp der Wohlhabenden durch umfangreiche Einkäufe zu manifestieren.

Die Bedienung ist laut Vertrag freundlich und sehr gepflegt, die Kunden legen häufig Wert auf Äußerlichkeiten und üben sich im herumkommandieren, die Touristen bekommen den Mund nicht zu vor Staunen und rufen: guck mal hier, guck mal da!

Aber, um ehrlich zu sein: es gibt schlimmeres auf der Welt.

Für uns ist das KaDeWe jedenfalls ein dankbarer Beobachtungsposten.

Das KaDeWe mag nicht nur den Minderbemittelten als schwieriges Pflaster erscheinen. Auch die vielen Normalverdiener die dort einkaufen fühlen sich oft frustriert, denn sie gehören dann immer noch nicht zu jenen, die sich teuren Schmuck und Luxusuhren leisten können.

Wie alle Dinge sollte man auch das KaDeWe mit Gelassenheit nehmen und es nutzen als das, was es ist, ohne die mythische Überhöhung, die einen dann zu erschlagen droht.

Ruhig schlafen können dann auch die Touristen, die das Ganze mit distanzierter Neugier betrachten, etwa wie Tiere im Zoo, ohne Empathie- oder Identitätskrise.

Manche Touristen werden zu ihrem Unglück schon am ersten Tag in Berlin dorthin gebracht. Mancher verguckt sich dann in ein Stück Unterwäsche, verliebt sich in eine Kaffeemaschine oder wirft sich für einen Stoff-Dino zu Boden. Zum Teufel mit Nefertiti, dem Checkpoint Charlie und dem Naturkundemuseum, ich will diese Unterwäsche, die Kaffeemaschine, den Dinosaurier!

Wir sind ja zum Glück nur für einen ganz unverfänglichen Geruchs-Streifzug hier. Im Erdgeschoß befinden sich die Kosmetik- und Juwelierabteilung, Luxusartikel wie Federhalter oder Uhren, gehobene Lederwaren sowie die Kaffeerösterei. Die Läden mit Diamanten und Schmuck sind wenig gut besucht und ihr Geruch wird völlig übertönt von den Parfümen, ein bisschen auch von der Kaffeerösterei in der Nähe des Eingangs Passauerstraße. Viele verbinden mit dem KaDeWe diese heftige Mischung von Parfüms aller Art, die am Eingang alle Besucher überfällt wie ein Attentat auf den Geruchssinn. Als wären die Aroma-Noten Töne, die ein verrückt gewordenes Orchester dem Publikum entgegenschleudert. Es herrscht keinerlei Harmonie zwischen den Düften, sondern gewaltiges Chaos, wie die Fäuste im Saloon eines Westerns. Man erkennt nicht, was woher kommt, wo die Grenze zwischen männlich und weiblich verläuft, und Gruppen von Verkäufern stehen überall herum und sprühen auf die Leute ein.

Ein Großteil der Kunden verliert da den Überblick und zieht sich in die Ecke zurück, wo sich die Marken für Naturkosmetik eingerichtet haben.

Kompulsive Konsumenten von Eau de Toilette hüpfen von Stand zu Stand und schnüffeln unermüdlich, wie Drogenhunde am Flughafen: bald greifen sie zu.

Die Kaffeerösterei könnte helfen, den Nebel zu lichten und die geruchliche Aggression zu neutralisieren. Wir aber wenden uns jetzt dem 1. Stock zu, der Herrenabteilung. Die Luft ist noch geschwängert von den Parfums im Erdgeschoß, dazu gesellt sich hier der typische Geruch von Konfektionshäusern, der fast überall auf der Welt gleich ist.

Man kann hier z. B. bemerken, dass Jeans leicht verbrannt riechen, anders als andere Baumwollhosen.

Badebekleidung hat immer eine Note von Gummi.

Im 2. Stock befindet sich die Damenabteilung. Hier stammen die Parfums nicht mehr vom Erdgeschoß, sondern von den Kundinnen, die ihre Geruchsspuren in der Luft hin und herziehen.

Hinzu kommt ein unverkennbarer, scharfer Geruch nach synthetischen Lacken. Man denkt an Nagellack, aber von den Damen kann das nicht kommen.

Tatsächlich stammt er von den Accessoires aus lackiertem Plastik: modische Täschchen, Gürtel und ähnliche Gegenstände zur Auftakelung der Weiblichkeit.

Im 3. Stock gibt es Schuhe und Lederwaren. Das Leder hier ist selbstverständlich echtes Leder. Doch inmitten der Taschen schafft sich ein Fritten- und Sandwichgeruch Raum, der kaum von den Auslagen stammen kann. Als ob ein Kunde nach einem Schnellimbiss dem Bedürfnis erlegen wäre, hier die neuesten Kollektionen in Augenschein zu nehmen.

Der Frisör riecht nach Frisör, also nach Lacken, die in diesem Fall von höchster Qualität und sehr diskret sind, und vor allem nach der trockenen Luft aus dem Fön.

Die Badebekleidung riecht nach gutem Gummi, etwas anders als der aggressivere Geruch in billigeren Läden.

Im 4. Stock sind die Haushaltswaren. Düfte und Publikum verdünnen sich, und wir befinden uns zum ersten Mal in einem Bereich, wo es zart duftet, nämlich in der Glasabteilung. Das liegt an den Raumbeduftern, die inmitten der Glaswaren ausgestellt sind. Leicht könnte man eine Menge Zeit verlieren, wollte man der Neugier freien Lauf lassen. Die Qualität der Waren ist deutlich höher als in einem normalen Supermarkt, und auch für anspruchsvolle Nasen geeignet.

Fast bekommt man Lust, den Noten nach Orangen, den Früchten, Blüten, Schalen oder Kernen der Orange nachzuspüren, auf der Suche nach etwas, was sich nicht richtig beschreiben lässt. Vielleicht passt es ja zu unserer Wohnung, und wir haben es nie gefunden, weil wir es nicht richtig definieren konnten.

Sprüht man einen dieser Düfte auf ein Kärtchen, wer weiß, vielleicht verwandelt sich das Kärtchen dann in eine Pastiera napoletana, den Kuchen mit Orangenschalen, der in Neapel bei den großen Anlässen gebacken wird.

Das KaDeWe mit all seinen Waren würde sich dann in Nichts auflösen, und vor unseren Augen erschiene die Großmutter, das Haus, das Meer, die Terrasse über dem Golf von Salerno, der Zitronenbaum und die Kirche San Giorgio mit ihrer bunten Majolika.

Ja, Majolika sehen wir jetzt hier auch, auch wenn sie etwas anders ist: stecken wir das wertvolle Kärtchen einfach in die Tasche, mit einem Dankeschön an das KaDeWe dafür, dass es uns für ein paar Sekunden in die Heimat zurückkehren ließ.

Der fünfte Stock enthält Papierwaren die nach Papier riechen, eine Bücherabteilung, die nach Leim riecht, und  Spielwaren, die nach Plastik riechen, die Steiff-Tiere allerdings riechen nach nichts, also gut.

Unser Streifzug durch das KaDeWe endet im sechsten Stock, der Lebensmittelabteilung. Die Ankunft hier ist eher ein Abflug: von hier in Berlin kann man die ganz Welt bereisen.

Die mächtigste internationale Enklave Berlins befindet sich im sechsten Stock des KaDeWe.

Jeder Reisewunsch rückt hier in unmittelbare Riechweite, hier kann man für ein Stündchen mit den Düften die große weite Welt erträumen.

Das KaDeWe gilt als teuer. Aber wenn man nur schnuppern will, ist es der günstigste Ort der Stadt.

Lust auf China? Hier gibt es die zartesten und duftendsten Frühlingsrollen in ganz Berlin. Lust auf chinesischen Tee? Die Teeabteilung erkennt man an den großen Porzelanvasen, vor allem aber an den frischen Aromen, man hat die Wahl zwischen über zweihundert Sorten aus aller Welt und für alle Taschen.

Wer nur riechen will, bekommt alles gratis, eine himmlische Erfahrung: Tee mit Birnenaroma, Caribbean Love Dream, New York Cheescake, teurer Golden Bug in ganzen Blättern, der im Frühling von Hand gepflückt wird, kostbarer Milky Olong, dem ein Bad in Milchwasser das phantastisch cremige Aroma verleiht, Japanischer Green, mild und zugleich kräftig, der nur einmal im Jahr geerntet wird…

Wer kann da noch behaupten, das KaDeWe sei elitär?

Lassen wir das Obst beiseite, das besser aussieht, als es riecht, oder die Rüben und Kartoffeln, deren Duft nach Erde uns im Vergleich zu denen vom Winterfeldplatz allenfalls ein müdes Lächeln entlockt. Halten wir uns lieber an den feinen, säuerlichen Duft der Brote und die kraftvolle Süße der Torten.

Die Thai-Ecke ist äußerst diskret, hier wie auch an der Champagner-Theke dominiert der herrische, dicke, aufdringliche, überwältigende, maßlose Geruch der Käse.

Beim Käse teilen sich die Geister: wer ihn liebt, geht vor Erregung in die Knie, wer ihn hasst, den zwingt der Ekel zu Boden.

Würste und Kartoffeln sind ein schwieriges Thema, das in Dutzenden von Varianten durchdekliniert wird: Wurst- und Kartoffeldüfte auf höchstem Niveau.

Wenn da ein unbedarfter Tourist noch über die deutsche Küche spottet, sollte man ihn an den Ohren zum „Kartoffelacker“ führen.

Marzipan und Schokolade sind verpackt und können sich deshalb nicht richtig entfalten, eine neugierige Nase kann aber die Ecken aufspüren, wo sie offen angeboten werden und sich da ganz heimlich seinen Träumen hingeben.

Von der Schokolade geht es etwas abrupt weiter zu den Oliven, ihre Vielfalt und Frische erfreut das Herz.

Die Brathähnchen sind die diskretesten der Welt, und die Würstchen daneben sorgen für bayerischen Schwung.

Die Abteilung der geräucherten Schinken und Würste möchte man erst gar nicht mehr verlassen, es sei denn, man ist Vegetarier.

Die Speichelproduktion schnellt in die Höhe, und wir würden gerne verdrängen, dass wir ja nur für eine olfaktorische Übung hier sind. Eine Salami vom KaDeWe, niemals! Und plötzlich stehen wir mit einem Päckchen an der Kasse, für ein  kleines Stück Räucherfleisch ist uns jeder Preis recht. Warum auch nicht?

Wer das Meer liebt, sich aber einen Urlaub in den Tropen eben sowenig leisten kann wie einen Kurzbesuch am Mittelmeer, sollte sich vor den „Fischkutter“ stellen und die Augen schließen. Hier riecht der Fisch nach echtem, frischen Fisch vom offenen Meer, und wird geadelt von einem Kranz von Salaten.

Was kann man sich da noch wünschen? Eine Klippe im Meer?

Der Austern-Stand lädt zu einem Sprung ins Meer der Bretagne, der Algarve, von Capri oder Santorin…das Jod spritzt über die Klippen. Die Bedienung öffnet die Schale und wir atmen tief ein.

Wenn wir satt sind vom Meer, fahren wir mit dem Aufzug wieder zurück ins Erdgeschoß.

Übersetzt von Christoph Timpe

6 Jahren vor