Anfangs hielt ich es für Stimmungsschwankungen. Üble Laune, Lustlosigkeit, Trägheit. Dann merkte ich, dass es sofort besser wurde, wenn ich rausging und was unternahm. So zwang ich mich auf ein Straßenfest, zu dem ich eigentlich keine Lust hatte. Da traf ich dann Achim nach vielen Jahren wieder. Wir sind in etliche Ausstellungen gegangen und um einige Seen gejoggt. ‚Alles ist besser als …‘ wurde zum Leitsatz. Ich meinte damit ‚besser als zu Hause rumzuhängen‘. Inzwischen hab ich es begriffen. Nach zwei Tagen ohne Ausstellung bin ich unleidlich. Sehe ich mir was an, schon geht’s mir besser. Na, wenn das die einzige Sucht ist … ist es aber nicht. Wenn ich einkaufen gehe und bringe keine Blume mit, dann fehlt mir was. Also kaufe ich jedes Mal was Kleineres oder auch ein schönes Sonderangebot. Ich stehe dann auf dem Balkon und weiß nicht, wohin damit. Rücke was hin und her – und freue mich. Es sieht schön aus. Sonst noch was? Ja, ich habe mich so sehr an mein alkoholfreies Bier gewöhnt, dass es ohne nicht mehr geht. Wird meine Marke nicht geliefert, greif ich auch mal zu einem ‚richtigen‘ Bier. Angefixt hat mich Herr D. Bei hohen Temperaturen und nur einmal die Woche und nur eine Flasche brachte er mit. Ich wurde so gierig darauf, dass ich mir das Bier selbst kaufte. Ich trank es täglich. Dann kam die Fastenzeit. Kein Bier. Das hielt ich locker durch. Im nächsten Jahr wusste ich, dass ich das nicht mehr schaffe und stieg auf alkoholfrei um. Zusätzlich verzichtete ich auf den Fahrstuhl. Ich könnte Geld sparen und das gesunde Leitungswasser trinken. Es schmeckt mir nicht. – Drei Süchte, die seien mir gewährt. Auf eine Aufräumesucht warte ich noch vergeblich.
Sucht – von Jutta Klose
Jutta KloseGepostet in:Gäste